Politische und staatliche Kennziffern

Staatsform  Republik
Regierungssystem  Präsidialsystem
Human Development Index  0,747
Einwohnerzahl  9.593.000
Einwohner / km²  1091

Mediensystem, Medienmarkt

Organisationsform der Presse

Auf den ersten Blick bietet Aserbaidschan ein breites Spektrum an Printmedien. Nachdem im Jahr 1998 die Zensur für Zeitungen abgeschafft wurde, brach eine neue Zeit der Unabhängigkeit an.2 Dennoch werden die Medien weiter durch die strenge Vergabe staatlicher Lizenzen gegängelt. Insgesamt befinden sich 80 Prozent der Printmedien in Staatsbesitz.3

Konzentration des Pressemarkts

Landesweit sind mehr als 4.000 Zeitungen und Zeitschriften registriert, tatsächlich erscheinen davon lediglich etwa 200 Stück. Da bewusst Gesetze vernachlässigt werden, die für Transparenz im privaten Sektor sorgen könnten, ist es oft schwierig, die wahren Eigentümer von Nachrichtenagenturen zu identifizieren. Die oppositionellen Zeitungen Yeni Musavat und Azadliq sind die meistgelesenen unter mehr als 30 registrierten Tageszeitungen. Azadliq wurde in den letzten Jahren häufig das Ziel von Verleumdungsanklagen der Regierung. Die damit verbundene finanzielle Belastung und Sanktionen führten sogar zum Aussetzen der Druckversion im Juli 2014.4

Organisation des Rundfunks

Ebenso wie die Printmedien ist auch der Rundfunk offiziell frei und Sender können privat oder öffentlich-rechtlich betrieben werden. Dennoch liegt auch der Rundfunk faktisch fast ausschließlich in den Händen der Regierung und ihren Verbündeten. Das Fernsehen, die mit Abstand wichtigste Informationsquelle der Bevölkerung, wird nahezu vollständig vom Staat kontrolliert.5

Konzentration des Rundfunkmarktes

Der Rundfunkmarkt besteht aus neun Fernsehstationen, darunter ein öffentlich-rechtlicher Sender und drei staatliche Stationen. Er umfasst zudem 14 regionale Fernsehkanäle und etwa 25 Radiostationen. Wie der Prozess zur Vergabe von Rundfunklizenzen abläuft, ist weitgehend unbekannt. 2012 wurden alle ausländischen Fernsehsendungen aus den aserbaidschanischen Sendern verbannt.6

Organisation des Internets

„Das Internet ist noch ein freier Tummelplatz für freie Informationen und freie Ideen. Allerdings muss man davon ausgehen, dass man auch im Internet beobachtet wird. Auf Facebook muss man vorsichtig sein, was man schreibt. Schließlich können sich unter deinen Facebook-Freunden auch Agenten befinden“7 , so der Blogger Ali Nowruzow in einem Interview von Reporter ohne Grenzen aus dem Jahr 2012.

Kommunikative Grundordnung – Presse-, Meinungs- und Informationsfreiheit in…

…der Verfassungstheorie

Die Verfassung Aserbaidschans garantiert die „Freiheit der Massenmedien“ und verbietet seit 1998 staatliche Zensur. In der Verfassung, dem Gesetz über die Massenmedien und dem Gesetz über das Auskunftsrecht ist das Recht auf freie Meinungsäußerung und uneingeschränkten Zugang zu Informationen verankert.8

…den Landesgesetzen

Zwar gilt laut der Verfassung in Aserbaidschan das Recht auf freie Meinungsäußerung, dennoch ist dieses in der Praxis stark eingeschränkt. Bei kritischer Berichterstattung müssen Journalisten mit Verleumdungsklagen rechnen. Verleumdung ist eine Straftat und kann mit einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren und hohen Geldstrafen geahndet werden. Viele Journalisten kommen auch unter dem Vorwand von Drogenbesitz, Steuerhinterziehung oder der Anstachelung zum Hass ins Gefängnis. Kundgebungen der Opposition werden nur an definierten, mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichbaren Plätzen außerhalb des Stadtzentrums zugelassen.9  Private Unternehmen sind, nachdem 2014 ein Bericht über die Korruption in der Regierung und durch den Präsidenten Ilham Alijew und seine Familie veröffentlicht wurde, nicht mehr dazu verpflichtet, Auskünfte über ihre Besitzverhältnisse zu geben. Vor diesem Hintergrund wurden mehrere Gesetzesänderungen verabschiedet. Diese Änderungen ermöglichen kommerziellen Unternehmen ihre Zulassung, Besitz- und Eigentumsverhältnisse geheim zu halten. Journalisten wird es also fast unmöglich gemacht, Korruption oder Vetternwirtschaft aufzudecken.10  Weitere, im Februar und November 2014 erlassene Gesetzesänderungen über Nichtregierungsorganisationen (NGOs), verbieten es NGOs (zum Beispiel Medienrechtsgruppen), Zuschüsse und Finanzmittel aus dem Ausland zu erhalten. In Folge dessen mussten die NGOs The Institute for Reporters’ Freedom and Safety (IRFS) und das Media Rights Institute ihren Betrieb einstellen.11

…der Regulierung des Presse- und Rundfunkmarkts

Die Medienaufsicht Aserbaidschans, das National Television und Radio Council (kurz: NTRC), besteht aus neun Mitgliedern, die von der Regierung ernannt und uneingeschränkt oft wiedergewählt werden können. Das NTRC steht wegen Bevorzugung staatlicher Rundfunkanstalten bei der Lizenzvergabe in der Kritik.
Das NTRC reguliert nicht nur den Pressemarkt, sondern ebenso den Rundfunk. Auch hier wird viel Kritik an den Methoden geübt: So ist der Prozess der Rundfunklizenzvergabe sehr undurchsichtig und NTRC versäumte es wiederholt, die Liste der verfügbaren Fernseh- und Radiofrequenzen zu veröffentlichen, wozu es eigentlich verpflichtet ist. Seit 2009 verbietet der NTRC ausländischen Sendern den Zugriff auf die nationalen Frequenzen.12

…der Regulierung des Internets

Statt zur Zensur zu greifen, hat das Regime das Internet lange offen gelassen, um oppositionelle und unabhängige Inhalte kontrollieren und bestrafen zu können, woraus ein Hang zur Selbstzensur entstand.13  Selten werden Inhalte offiziell blockiert, dennoch wird oft Offline-Einschüchterung genutzt, um vor Online-Kritik abzuschrecken. Es kann durchaus auch vorkommen, dass auf Seiten mit regimekritischen Inhalten „technische Störungen” auftreten.14

Indizes Korruption und Pressefreiheit

Freedom of the Press

Ranking: 188

Score: 87

15 Von Platz 184 im Jahr 2014 stürzte Aserbaidschan 2015 auf Platz 188 ab. An diesem Abstieg beteiligt sind die 2014 neu erlassenen Gesetze über die Unterstützung von Nichtregierungsorganisationen.

Der Wert der Pressefreiheit setzt sich aus drei Teilen zusammen: dem Einfluss von Gesetzen, dem ökonomischen und dem politischen Einfluss. Im Bereich des Gesetzeseinflusses erreicht Aserbaidschan 29 von 30 schlechtmöglichsten Punkten. Die in der Verfassung beschriebenen Rechte kommen in der Praxis so gut wie nie zum Einsatz.

Freedom on the Net

Ranking: k.A.

Score: 56

Mit einem Wert von 56 Punkten wird Aserbaidschan als „partly free“ bezeichnet. Im Vergleich zu 2014 ist die Freiheit im Internet um einen Punkt zurückgegangen. Ausschlaggebend dafür sind die oben beschriebenen, 2014 erlassenen Gesetze über das Verbot von Zuschüssen und Finanzmitteln aus dem Ausland für Nichtregierungsorganisationen, wonach einige Internetmedien ihren Dienst aufgeben mussten.16

Democracy Score

Ranking: 27

Score: 6.75

Mit der Platzierung auf dem drittletzten Rang (Platz 27 von 29) ist Aserbaidschan unter allen Transformationsländern eines der Länder, die noch am weitesten von einer Demokratie entfernt sind.

Mit einer Bewertung von 6.75 von 7 schlechtmöglichsten Punkten ist Aserbaidschan ein „Consolidated Authoritarian Regime“. Im Bereich des Wahlprozesses erreicht das Land sogar 7 von 7 Punkten. Das Regime hat, aufgrund ihm zur Verfügung stehender Gelder und fehlender politischer Balance während der Wahlen, selbst die klare Übermacht. Auch wurden Ende 2013 Unregelmäßigkeiten und fehlende Überwachung bei Wahlen aufgedeckt.17

Reporter ohne Grenzen

Ranking: 162

Score: 57,88

Aserbaidschan besetzt beim Länderranking von Reporter ohne Grenzen einen der letzten Plätze. Der Präsident Ilham Alijew und Vasif Talibov, Präsident des Obersten Gerichtshofs, werden als „Feinde der Pressefreiheit” tituliert.18
Die Bewertung von Reporter ohne Grenzen berücksichtigt, unter anderem, die Bedrohung und Verhaftung von Journalisten. Momentan befinden sich acht Journalisten und vier Online-Aktivisten und Bürgerjournalisten in Haft.19

Transparency International

Ranking: 119

Score: 29

20 Im Vergleich zum Jahr 2014 steigt Aserbaidschan von Platz 126 scheinbar um sieben Plätze im Ranking. Da 2014 allerdings auch sieben Länder mehr (174 statt wie 2015 167) bewertet wurden, gleicht sich so der vermeintliche Anstieg aus. Die Korruptionswahrnehmung bleibt unverändert.
Mit 29 Punkten befindet sich Aserbaidschan, wie bereits 2014, im letzten Drittel der Korruptionswahrnehmung. Das heißt, es ist eines der Länder, in welchem sehr viel Korruption wahrgenommen wird. Da sich zwar der Platz im internationalen Vergleich, aber nicht der individuelle Score geändert hat, kann davon ausgegangen werden, dass im Land selber keine großen Verbesserungen im Bereich der Korruptionswahrnehmung stattgefunden haben.

Wissenschaftliche Einteilung in Pressetypen

Contingency Model of Communication
  1. Das Mediensystem Aserbaidschans ist wie folgt in das Contingency Model of Communication einzuordnen:
    Es gibt eine geschlossene Medienproduktion und eine geschlossene Rezeption. Offiziell hat zwar jeder die Möglichkeit kommunikative Botschaften zu versenden, es gibt keine Zensur. Dennoch werden Journalisten, die aus Sicht des Staats unpassende Inhalte veröffentlichen, auf anderen Wegen bestraft. Die Kanäle allerdings, durch welche kommuniziert wird, sind gelenkt. Lizenzen werden nur an dem Staat gefällige Medienunternehmen verteilt, bestimmte Zeitungen dürfen nicht am öffentlichen Kiosk verkauft werden oder Internetseiten können auf Grund von „technischen Störungen” nicht geladen werden.
    → Gelenkte Massenkommunikation
  2. Der Medienbesitz in Aserbaidschan kann privat oder öffentlich sein. 80 Prozent der Medien befinden sich aber im Besitz der Regierung, welche auch die Kontrolle über die Lizenzvergabe innehält. Die Medienkontrolle ist dementsprechend zentral, selbst Mitglieder der Medienaufsicht werden von der Regierung ernannt.
  3. Im Bereich der Kommunikationsrechte ist Aserbaidschan laut der Verfassung in den Typus „Das Individuum hat das Recht zu senden und zu empfangen” einzuordnen. In Wirklichkeit aber kontrolliert die Regierung durch Gewalt und Unterschlagung, wer was sendet und was empfangen werden kann.21
Comparing Media System

In Aserbaidschan hat die Regierung eine starke Stellung, der Staat neigt zum Dirigismus und greift in die Wirtschaft ein. Die Regierung hat einen sehr großen Einfluss auf die Presse, welche durch Subventionierung und Einschüchterung gelenkt wird. Der Journalismus lässt sich als Folge dessen als sehr meinungsbetont und schwach professionalisiert darlegen. Es besteht eine starke Verbindung zwischen den Medien und den politischen Parteien.
Ordnet man das Land also in dieses Modell ein, welches nur mit Einschränkungen für osteuropäische Länder zu verwenden ist, beschriebe Aserbaidschan am treffendsten das mediterrane oder polarisiert-pluralistische Modell.22

Pragmatischer Differenz-Ansatz

Aserbaidschan findet sich bei der Einordnung in den pragmatischen Differenz-Ansatz zwischen dem osteuropäischen Schockmodell und dem arabisch-asiatischen Patriotenmodell wieder. Das Land kann größtenteils der mittleren B-Linie zugeordnet werden, weist durch ein autoritäres Regierungssystem, starken politischen Parallelismus, starke Staatskontrolle über die Medien sowie deren Orientierung aber auch einige Punkte der regulierten C-Linie auf.23

Typologie defekter Mediensysteme

Die Analyse Aserbaidschans durch die Typologie defekter Mediensysteme ergibt, dass das Land ein pluralistisches Mediensystem mit strukturellen und prozessualen Defekten enthält. Auf Aserbaidschan treffen fast ausschließlich alle von Töpfl definierten Abweichungen vom Idealtyp zu: So ist entlang der prozessualen Dimension ein hohes Ausmaß an Gewalt und Verleumdungsklagen gegen Journalisten zu verzeichnen, wenn auch keine Zensur herrscht. Weitere erwünschte prozessuale Mechanismen, wie die Auskunftspflicht der Behörden oder das Recht auf Informationszugang, sind kaum gewährleistet. Ähnliche schwere Defekte treten entlang der strukturellen Dimension auf: Es gibt vom Staat absichtlich heraufbeschworene Betriebsbeschränkungen und -schließungen für Medienorganisationen, wobei diese sowohl über das Justizsystem als auch über Gewaltandrohungen unter Druck gesetzt werden. Weiter werden staatliche Subventionen nur gefälligen Medien zugeteilt.24

Four Theories of the Press

Hier eingeordnet, wird Aserbaidschan am passendsten durch das Autoritarismus-Modell beschrieben. Medien funktionieren als Diener des Staates, zwar nicht durch Zensur, sondern durch Regulierungen anderer Art, wie Gewalt, juristische Maßnahmen oder die vom Staat gesteuerte Verteilung von Lizenzen. Kritik an der Regierung ist durch die Androhung schwerwiegender Folgen kaum möglich, weshalb viele Journalisten zur Selbstzensur greifen. Der Besitz der Medien kann sowohl öffentlichen Institutionen als auch Privatpersonen zugeordnet werden, wobei der Staat auch hier spätestens durch die Unterbindung des Verkaufs der Medienprodukte in die Pressefreiheit eingreift.25

Stand: Februar 2016

Quellen

1 Wikipedia: Aserbaidschan. 2015. https://de.wikipedia.org/wiki/Aserbaidschan. Zugriff am: 22.01.2016.

2 Vgl. Reporter ohne Grenzen: ROG-Bericht: Zwischen Staatskontrolle und Selbstzensur. 2012. https://www.reporter-ohne-grenzen.de/nc/aserbaidschan/alle-meldungen/meldung/rog-bericht-zwischen-staatskontrolle-und-selbstzensur/ Zugriff am: 25.01.2016.

3 Vgl. Reporter ohne Grenzen: Aserbaidschan. 2015. https://www.reporter-ohne-grenzen.de/aserbaidschan/.Zugriff am: 25.01.2016.

4 Vgl. Freedom House: Freedom of the Press – Aserbaidschan. 2015. https://freedomhouse.org/report/freedom-press-2015/harsh-laws-and-violence-drive-global-decline Zugriff am: 25.01.2016.

5 Ebd.

6 Ebd.

7 Reporter ohne Grenzen: ROG-Bericht: Zwischen Staatskontrolle und Selbstzensur. 2012. https://www.reporter-ohne-grenzen.de/nc/aserbaidschan/alle-meldungen/meldung/rog-bericht-zwischen-staatskontrolle-und-selbstzensur/ Zugriff am: 25.01.2016.

8 Vgl. Freedom House: Freedom of the Press – Aserbaidschan. a.a.O.

9 Vgl. Auswärtiges Amt: Aserbaidschan – Innenpolitik. 2015. http://www.auswaertiges-amt.de/sid_E0DAC8778938ABA9D86A5074CBDCEFA8/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Aserbaidschan/Innenpolitik_node.html Zugriff am: 26.01.2016.

10 Vgl. Reporter ohne Grenzen: ROG-Bericht: a.a.O.

11 Vgl. Freedom House: Freedom of the Press – Aserbaidschan. a.a.O.

12 Ebd.

13 Vgl. Auswärtiges Amt: Aserbaidschan – Innenpolitik. a.a.O.

14 Vgl. Freedom House: Freedom of the Press – Aserbaidschan. a.a.O.

15 Ebd.

16 Vgl. Freedom House: Freedom on the Net – Aserbaidschan. 2015. Freedom House. https://freedomhouse.org/report/freedom-net/2015/azerbaijan. Zugriff am: 27.01.2016.

17 Freedom House: Nations in Transit – Aserbaidschan. 2015. https://freedomhouse.org/report/nations-transit/2015/azerbaijan. Zugriff am: 27.01.2016.

18 Vgl. Reporter ohne Grenzen: Länderranking Aserbaidschan. 2015. https://www.reporter-ohne-grenzen.de/weltkarte/#map-AZE. Zugriff am: 27.01.2016.

19 Vgl. Reporter ohne Grenzen: Weltkarte Aserbaidschan. 2015. https://www.reporter-ohne-grenzen.de/weltkarte/#map-AZE. Zugriff am: 27.01.2016.

20 Vgl. Transparency International: Corruption Perceptions Index. 2015. https://www.transparency.de/Tabellarisches-Ranking.2754.0.html. Zugriff am: 27.01.2016.

21 Vgl. Blum, Roger (2014): Lautsprecher und Widersprecher. Ein Ansatz zum Vergleich der Mediensysteme. Köln. S.34f.

22 Vgl. Blum, Roger (2005): Bausteine zu einer Theorie der Mediensysteme. In. Medienwissenschaft Schweiz 2/2005, S.6f.

23 Ebd, S.8f.

24 Vgl. Töpfl, Florian (2011): Mediensysteme in Transformationsprozessen. Wie entstehen pluralistische Mediensysteme – und warum nicht?. Baden-Baden. S.251-261.

25 Vgl. Blum, Roger (2005). a.a.O., S.5.